„Klimaflüchtlinge“

-Ein Artikel von Miena Momandi und Paulina Voß-

Immer mehr Unwetter, langanhaltende Dürren, schmelzende Gletscher, verschwindende Artenvielfalt und noch viele weitere schreckliche Folgen des Klimawandels – weltweit spüren Millionen von Menschen diese bereits hautnah. Doch welche Optionen haben Menschen, deren Existenzgrundlage aufgrund des Klimawandels schwindet? 

Wohin geht man, wenn die Stadt, das Land oder die Insel nicht mehr bewohnbar ist? Allein in den Jahren 2019, 2020 und 2021 sind laut dem International Displacement Monitoring Center (IDMC) rund 79.300.000 Menschen1 weltweit aufgrund des Klimas geflüchtet. 

Was viele vergessen: Das ist nur eine Hellziffer. Fliehen kann nur, wer die Mittel zur Flucht hat. Betroffen sind Millionen mehr Menschen, denen diese Mittel fehlen. Die Dunkelziffer können wir uns nicht einmal vorstellen. Studien gehen davon aus, dass bis 2050 bis zu 200 Millionen Menschen2 ihre angestammten Siedlungsgebiete verlassen und in andere Staaten migrieren müssen.  Die Prognosen sagen ganz deutlich eins aus: Klimabedingte Migration wird in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen. Naturkatastrophen und Lebensgrundlagenveränderungen aufgrund des Klimawandels führen zu Armut und Hunger, auf welche die betroffenen Länder nicht vorbereitet sind. Die meisten „Klimaflüchtlinge“ stammen aus Entwicklungsländern, welche keine so guten Anpassungskapazitäten haben, sodass diese zu Fluchtbewegungen gezwungen sind.3 Umso größer der Schock, wenn diese Menschen sich ein würdevolles Leben wünschen, flüchten und ihnen am Ende mitgeteilt wird „Sorry, unzureichende Gründe. Kein Asyl, kein Flüchtlingsschutz. Bye Bye“.  

Aktuelle Rechtslage

Um das zu verstehen, ist ein intensiverer Blick in das Migrationsrecht nötig. In Deutschland richten wir uns beim Flüchtlingsbegriff nach der Definition der Genfer Flüchtlingskonvention Art. 1 A. Nr. 2 der GFK. Definiert heißt das kurz gefasst, dass wer aufgrund von seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugungen verfolgt und bedroht wird und darum sein Land verlässt, ein Flüchtling ist. Klima, Krieg, Umwelt, Hunger oder Armut gehören nicht dazu. Den Begriff „Klimaflüchtling“ gibt es rechtlich gesehen also gar nicht.4 Einige Definitionen finden sich dazu dennoch; die Internationale Organisation für Migration definiert „Klimaflüchtlinge“ als „Personen oder Gruppen, die aus überzeugenden Gründen, aufgrund plötzlicher oder gradueller Veränderungen der Umwelt, die ihr Leben und ihre Lebensumstände negativ beeinflussen gezwungen sind, ihren hauptsächlichen Wohnort zu verlassen, oder die dies aus eigener Entscheidung tun, entweder vorübergehend oder dauerhaft und die entweder innerhalb ihres Landes oder grenzüberschreitend migrieren.“5 Mit anderen Worten: Klimaflüchtlinge sind im Rechtssinne keine Flüchtlinge und können sich nicht auf den Schutz des internationalen Flüchtlingsschutz und Asylrechts berufen.

Darüber hinaus besteht – abgesehen von der Problematik der Begrifflichkeit – die Frage der begründeten Furcht vor Verfolgung im Raum. Zwar ist oft vom „menschengemachten“ Klimawandel die Rede, der jedoch noch keine Verfolgung im Sinne der GFK begründet.6 Die konkreten Akteur:innen und Staaten sind schwierig zu ermitteln, anderweitige Einflüsse nicht auszuschließen und eine individuelle Betroffenheit aufgrund der allgemeinen Wirkung des Klimawandels kaum festzustellen.7

Viele versuchen sich daher am subsidiären Schutz, doch auch die Voraussetzungen des § 4 AsylG werden in den meisten Fällen nicht erfüllt, da die Flucht wegen klimatischer Veränderung nicht den Tatbestand einer individuellen Gefährdung  erfüllt.8 Doch nicht nur in Deutschland ist dies ein Problem. Ein Urteil des obersten Gerichtshofs in Neuseeland sorgte 2013 für große Aufregung. Ioane Teitiota vom Inselstaat Kiribati versuchte, Flüchtlingsschutz  für sich und seine Familie zu erhalten. Der Inselstaat Kiribati versinkt im Meer und laut Prognosen soll er in 40 Jahren gar nicht mehr existieren. Die vierköpfige Familie erhielt allerdings nicht den erhofften Schutz – als „Klimaflüchtlinge“ wurden sie nicht anerkannt. Sie erhielten lediglich einen „humanitären Abschiebeschutz“ aufgrund der besonderen familiären Situation.9 Der oberste Gerichtshof von Neuseeland wies die Klage lediglich mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Flüchtling im Sinne der GFK sei, da es keine konkrete Verfolgungsgefahr gebe.10

Blickwinkel der Vereinten Nationen

Allerdings sieht der UN-Menschenrechtsausschuss dies anders. Im Jahre 2020 urteilte er, dass ein Recht auf Asyl nicht verwehrt werden dürfe, wenn das Leben von Klimaflüchtlingen in ihrer Heimat in Gefahr ist.11 Hintergrund war die bereits aufgeführte Klage des Mannes Ioane Teitiota gegen die Regierung Neuseelands, welche seinen 2010 gestellten Asylantrag ablehnte und ihn in seine Heimat Kiribati abschob – und das, obwohl Kiribati durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet ist. Zwar sprachen sich die Vereinten Nationen nicht gegen die Abschiebung des Mannes aus, nahmen jedoch eine Betroffenheit des Rechts auf Leben durch den Klimawandel an, was bei der Überprüfung von Asylanträgen nicht außer acht gelassen werden dürfe. Die Unbewohnbarkeit eines Heimatlandes aufgrund der Folgen des Klimawandels könne somit ein Abschiebeverbot in dieses Land zur Folge haben.

Trotz des laut UN-Menschenrechtsbüro „historischen Urteils“ will die Deutsche Bundesregierung dieser Auffassung nicht folgen und sieht Klimafolgen nach wie vor nicht als potenzielles Abschiebehindernis an. 

Viele Migrationsrechtler:innen bezeichnen den jetzigen Stand als lediglich rudimentär. Das deutsche Asyl- und Völkerrecht sei nicht lückenlos und verstoße soweit sogar gegen das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen. Viele sind der Meinung, dass Deutschland grade als Industriestaat nicht die Verantwortung für die Konsequenzen des Klimawandels von sich weisen dürfe. Industriestaaten müssen besonders wegen ihrer primären Verantwortlichkeit gerechte und würdige Lösungen entwickeln, denn den Klimaflüchtlingen wird zurzeit nicht ansatzweise genügend Schutz geboten.12

Rechtliche Schutzmöglichkeiten

Trotz der aufgezeigten Problematik existieren rechtliche Schutzmöglichkeiten, welche von „Klimaflüchtlingen“ in begrenztem Rahmen wahrgenommen werden können. Der bereits problematisierte Zusammenhang zwischen konkreten Akteur:innen und den Folgen des Klimawandels kann bestehen, wenn vom Klimawandel betroffenen Personen Hilfeleistungen durch ihr Heimatland vorenthalten werden.13  In diesem Fall wäre eine Subsumtion unter Art. 1 A. Nr. 2 GFK möglich. Dies hängt jedoch davon ab, ob es dem Land überhaupt möglich ist, entsprechenden Schutz und Unterstützung zu bieten. In den Entwicklungsländern ist dies meist nicht der Fall.14

Zusätzlich zur GFK hat bspw. Afrika 1969 die „Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit“ entwickelt, welche einen ausdrücklichen Schutz von „Klimaflüchtlingen“ anordnet.15 Auch existiert die lateinamerikanische „Cartagena Deklaration“, welche daran anknüpft, ob die allgemeine Situation im Herkunftsland so schlecht ist, dass Menschenrechte in einem hohen Maße verletzt werden.16

Problematisch ist allerdings, dass diese Regelungen auf regionaler Ebene kaum verbindlich sind.17

Im Deutschen Asyl- und Aufenthaltsrecht ist an keiner Stelle von einer „Klimaflucht“ die Rede. Allerdings könnte es Ausländern, welche aufgrund des Klimawandels aus ihrem Herkunftsland fliehen müssen, möglich sein, über § 22 AufenthG temporären Schutz in Deutschland zu erhalten, soweit es sich um „dringende humanitäre Gründe“ handelt.18 Ein Anspruch auf die entsprechende Aufenthaltserlaubnis besteht jedoch nicht.

Auch handelt es sich dabei nur um eine „temporäre“ Lösung, welche nicht denjenigen hilft, die aufgrund des Klimawandels nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren können.

Anders gestaltet sich dies im Rahmen von § 23 Abs. 4 AufenthG, welcher die „Neuansiedlung“ von Geflüchteten unter der Voraussetzung, dass eine Rückkehr in das Heimatland aus den genannten Gründen nicht mehr möglich ist, vorsieht.19 Auch hier besteht aufgrund der zwingenden Entscheidung der Politik kein Anspruch.

Abgesehen von den „Klimaflüchtlingen“, welche aus ihrem Land fliehen, existieren außerdem sog. Binnenvertriebene, welche 2020 den größten Anteil an Geflüchteten ausmachten.20 Aufgrund dessen, dass diese Personen bloß innerhalb ihres Heimatlandes fliehen, fallen sie nicht unter die GFK. Für den Schutz dieser Menschen ist folglich das betroffene Heimatland zuständig.

Notwendigkeit eines reformierten Migrationsrechts

Dass der Klimawandel große Auswirkungen auf alle Menschen hat, zeigt – leider – das aktuelle Beispiel der schweren Erdbeben in Syrien und der Türkei. Den Überlebenden ist es zwar noch möglich, innerhalb ihres Landes Schutz zu suchen und zu bekommen, allerdings können das Menschen wie Ioane Teitiota nicht von sich behaupten, wenn die eigene Heimat im Meer versinkt. Dass „Klimaflüchtlinge“ dennoch keine Flüchtlinge im Sinne der GFK sind und insbesondere Deutschland dem Thema keine Aufmerksamkeit zu schenken scheint, muss sich ändern. Es ist notwendig, dass eine konforme, verbindliche und gemeinsame Lösung geschaffen wird. Der Klimawandel schreitet voran; dies sollte das Migrationsrecht auch tun. 

Fußnoten:

 1 Für Zahlen und Prognosen: https://www.internal-displacement.org/global-report/grid2021/ (letzter Zugriff am 05.03.2023).
https://web.archive.org/web/20190707140503/https://www.unric.org/en/latest-un-buzz/28883-the-invisible-climate-refugees
3 https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluchtursachen/klimawandel
4  BeckOK AuslR/Kluth, 36. Ed. 1.10.2022, AsylG §3 Rn.8.
5 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 20. Zu weiteren Definitionen vgl. Tabelle 2 auf S. 21 ff.
6 Nümann, Rechtliche Schutzmöglichkeiten für „Klimaflüchtlinge“, bpb 2019.
7 Nümann, Rechtliche Schutzmöglichkeiten für „Klimaflüchtlinge“, bpb 2019.
8 Fontana, „Klimaflucht“ – Regelungsbedarf und Regelungspotenziale, ZAR 2023, S. 55; Hanschel, ZAR 2017, S.?
9 Nümann, Rechtliche Schutzmöglichkeiten für „Klimaflüchtlinge“, bpb 2019.
10 Supreme Court of New Zealand, 20.07.2015, Ioane Teitiota v. The Chief Executive of the Ministry of Business, Inovation and Employment, (2015) NZSC 107, Rn. 12 ff.
11 United Nations, CCPR/C/127/D/2728/2016, Human Rights Committee, 23 September 2020.
12 Fontana, „Klimaflucht“ – Regelungsbedarf und Regelungspotenziale, ZAR 2023, S. 55.
13 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 45.
14 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 45.
15 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 45.
16 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 45.
17 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 45; Nümann, Rechtliche Schutzmöglichkeiten für „Klimaflüchtlinge“, bpb 2019
18 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 46.
19 BAMF, Klimamigration – Definitionen, Ausmaß und politische Instrumente in der Diskussion, 2012, S. 47.
20 Krause/Engler, Globale Trends zu Flucht und Asyl im Jahr 2020, FluchtforschungsBlog 2021.

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